Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMJ

vom 18. Juli 2024

„Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes von gewaltbetroffenen Personen im familiengerichtlichen Verfahren, zur Stärkung des Verfahrensbeistands und zur Anpassung sonstiger Verfahrensvorschriften“

vom 28.08.2024

Vorbemerkung

Die unterzeichnenden sechs Verbände Bundesinitiative Großeltern, Eltern für Kinder im Revier e.V., Forum Soziale Inklusion e.V., Papa Mama Auch e.V., Väteraufbruch für Kinder e.V. und Väter-Netzwerk e.V. bedanken sich für die Einladung zur Abgabe ihrer Stellung­nahme gegenüber dem Bundes­ministerium der Justiz zu o. a. Referentenentwurf.

 

In der folgenden Stellungnahme beschränken sich die Verbände thematisch auf die Änderungs­vor­haben bezüglich „Gewaltschutz und Familienrecht“ sowie auf die Thematiken „Verfahrens­bei­stände“ und „Familiensachen“ und gehen auf das Thema „Anpassungen in Versorgungs­aus­gleichs- und Nachlasssachen“ nicht ein.

 

Bezüglich der Regelungen zum Gewaltschutz sehen die Verbände die reale Gefahr, dass es bei einer Umsetzung des Referentenentwurfs zu einer kompletten Aushebelung des Sorge- und Umgangsrechts kommt. Durch einseitigen Wegzug eines Elternteils mit dem Kind, verbunden mit einer Gewaltschutzanzeige, würden Tatsachen geschaffen, die sich einer gerichtlichen Über­prüfung entziehen und effektiv zu einer Präjudizierung durch Zeitablauf führen. Hierdurch ent­steht ein massiver Anreiz zu prozesstaktischen Falschbeschuldigungen – unabhängig vom Geschlecht der Eltern. Der Verlust eines Elternteils für Tausende von Trennungskindern wäre die Folge.

1.              Gewaltschutz und Familienrecht

Der Schutz vor Gewalt ist ein Menschenrecht und dessen Durchsetzung somit uneingeschränkt zu befürworten. Der vorgelegte Referentenentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz zielt nach eigener Vorgabe darauf ab, den Schutz von Opfern von häuslicher Gewalt zu stärken, was die unter­zeichnenden Verbände ausdrücklich begrüßen.

 

Effektiver Gewaltschutz bewegt sich stets im Spannungsfeld einer Grundrechts­abwägung: Einer­seits ist die körperliche und auch psychische Unversehrtheit unabhängig vom Geschlecht zu schützen, andererseits sind die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats zu wahren.

Insbesondere darf es keine Abkehr von der Unschuldsvermutung und erst recht keine „präventive“ Aber­kennung von Grundrechten aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten geben.

 

Die folgenden Ausführungen erfolgen im Kontext dieser Rechtsgüterabwägung.

1.1            Bezug zur „Istanbul-Konvention“

Der Referentenentwurf bezieht sich ausdrücklich auf die „Istanbul-Konvention“ (IK). In diesem international verfassten Übereinkommen werden Maßnahmen gefordert zum Schutz für gewalt­betroffene „Frauen und Kinder“ (Präambel, Art. 1 IK).

 

Die IK ist nicht geschlechtsneutral verfasst und adressiert nicht die Menschen als Gesamtheit, sondern lediglich eine Gruppe von Menschen. Der Bezug zur IK eröffnet somit eine geschlechts­spezifische Täter‑Opfer‑Dichotomie, bei der Männer als Opfer und Frauen als Täterinnen oftmals nicht mitgemeint sind.

Der Gewaltbegriff (Art. 3 IK) ist zudem schwammig und uneindeutig gehalten. Darüber hinaus ver­wischt die rechtlich unabdingbare Unterscheidung zwischen subjektivem Empfinden und gerichtlich überprüfbarem Sachverhalt. Die IK ist somit nicht als Vorlage für ein humanistisches und grundrechtskonformes nationales Recht geeignet.

 

Die amtlichen Statistiken belegen, dass mit dieser Nichtberücksichtigung inzwischen fast 30% der Opfer häuslicher Gewalt im Hellfeld unsichtbar gemacht werden und nahezu keine Schutzinfrastruktur für diese Gruppe zur Verfügung steht. Die letzte Untersuchung durch das BMFSFJ erfolgte 2004. Die z. Zt. laufende Studie LeSuBiA soll 2025 veröffentlicht werden. Insofern ist unverständlich, dass ein Gesetz ohne eine aktuelle, belastbare Studie verabschiedet werden soll.

 

Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf Schutz vor Gewalt. Ein geschlechtsspezifisches Straf- oder Familienrecht würde gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 GG verstoßen und ist aus Sicht der Verbände unzulässig.

1.2            Definition des Gewaltbegriffs

In Deutschland besteht seit 2001 das zuletzt 2022 novellierte „Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen“ (Gewaltschutzgesetz - GewSchG). In diesem Gesetz (sowie auch in Teilen des FamFG) sind bereits heute wirksame Schutzmaßnahmen für potenzielle Opfer häuslicher Gewalt vorgesehen. Das Gesetz hat sich bewährt.

 

Das GewSchG ist geschlechtsneutral formuliert und geht von nachgewiesener Gewalt aus. Es definiert in § 1 einen Gewaltbegriff, der sich auf physische (Absatz 1) und psychische (Absatz 2) Gewalt bezieht. Demgegenüber versucht die IK, den Gewaltbegriff um eine wirtschaftliche Dimension zu erweitern (Art. 3 b IK), die nicht mit strafrechtlichen Bestimmungen korrespondiert und nicht überprüfbar ist.[Nach der Vorstellung einiger Lobbyverbände soll so beispielsweise eine strittige Unterhaltsfähigkeit oder -höhe als „wirtschaftliche Gewalt“ gewertet werden, was dann wiederum unmittelbare Auswirkungen auf kindschafts­rechtliche Regelungen hätte. Dies würde jedoch den notwendigen Rechtsschutz für Unterhaltspflichtige komplett aufheben.]

 

Eine rechtsstaatliche Definition von Gewalt muss klar abgrenzbar und gerichtlich objektivier­bar sein.

 

Es ist daher richtig, dass sich der Referentenentwurf die im Gewaltschutzgesetz etablierte Definition von Gewalt zu eigen macht, die auch im Einklang mit der bundesdeutschen Rechtsordnung steht.

1.3            Subjektstellung des Kindes

Die Textvorgaben in der Instanbul-Konvention konstruieren mit der wiederkehrenden For­mu­lierung „Frauen und Kinder“ eine Symbiose zwischen Mutter und Kind. Dies multipliziert nicht nur tradierte Rollen­stereotype, sondern schließt damit implizit auch die Möglichkeit von Gewalt der Mutter gegen das Kind aus. Der Widerspruch zum Grundrecht auf gleichberechtigte Elternschaft gemäß Art. 3 und Art. 6 GG ist offensichtlich.

 

Völlig übergangen wird mit diesem symbiotischen Ansatz jedoch die rechtliche Subjektstellung des Kindes im bundesdeutschen Recht. [Erstmals festgestellt in der Entscheidung des BVerfG vom 29.07.1968 (BVerfGE 24, 119), später kodifiziert in § 1 SGB VIII, siehe auch Art. 3 der UNKRK.]

 

Kinder haben eine eigene Grundrechtsposition, die demzufolge auch getrennt von denen der beiden Eltern zu betrachten ist.

 

Kritisch zu sehen ist daher die fehlende Unterscheidung bzw. die Vermischung der Beziehungs­ebenen: Kommt es zwischen den Eltern zu Konflikten auf der Partnerebene, so kann das zu Gewalt zwischen den Erwachsenen führen. Die Beziehungen zwischen den Eltern zu ihren Kindern müssen davon nicht betroffen sein.

 

Eine gegenüber ihrem Partner gewalttätige Frau muss nicht für ihre Kinder eine erziehungs­unfähige Mutter sein. Gleiches hat für einen Vater zu gelten, der in unzulässiger Weise gewalt­tätig gegen­über seiner Partnerin geworden ist. Auch ist an die Fälle zu denken, in denen es aus­schließ­lich um den konfliktreichen Zeitpunkt der Trennung herum beiderseitige Gewaltvorwürfe gibt, die nicht auf­klärbar sind.

 

Solche komplexen Konfliktdynamiken können nicht durch pauschalisierende Gesetzesregelungen auf­gelöst werden, sondern bedürfen einer hochgradig qualifizierten Expertise im Umgang mit den Betroffenen sowie einer gründlichen Abwägung konkurrierender Grundrechte. Die Grund­rechts­position des Kindes muss hierbei eigenständig betrachtet werden.  

1.4            Eingriffe in die Grundrechte von Kindern und Eltern

Im Unterschied zum GewSchG sieht der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz eine Verquickung von Straftaten (Gewalt) mit dem Familienrecht vor. Dies ist eine fragwürdige Ver­mengung von öffentlichem und privatem Recht.

 

Laut dem vorgelegten Entwurf sollen künftig strafrechtlich relevante Beweiserhebungen in Familien­ver­fahren erfolgen, obwohl Familiengerichte bereits heute häufig fachlich überfordert sind, den Qualitäts­anforderungen an ihre originären Aufgaben nicht genügen und für straf­rechtlich relevante Bewertungen nicht qualifiziert sind. [Die EU-Kommission weist in ihrem Rechtsstaatsbericht 2024 explizit darauf hin, dass die Ressourcen der Gerichte in Deutschland bereits heute nicht ausreichend sind. Es ist daher überhaupt nicht nachvollziehbar, wie die Familien­gerichte – noch dazu ohne Ermittlungshelfer – strafrechtlich relevante Tatbestände eigenständig auf­klären sollen.]

 

Die tagtäglichen Erfahrungen der Verbände aus der Betroffenenarbeit zeigen, dass mit den geltenden Rechtsnormen einzig eine unbelegte Anschuldigung reicht, um einem Kind temporär bis dauerhaft den Kontakt zu einem Elternteil zu nehmen. Der vorgelegte Entwurf verschärft dies und sieht drastische Eingriffe in die Grundrechte der betroffenen Kinder und der zeitlich weniger betreuenden Elternteile vor, nämlich:

  • Umgangseinschränkungen und Umgangsausschlüsse für die zweiten Eltern gegenüber ihren Kindern und
  • den Entzug der elterlichen Sorge für die zweiten Eltern (Art. 6 GG).

Als Grundlage dafür sollen bloße Behauptungen („Anhaltspunkte“) ausreichen. Dabei ist die elterliche Sorge ein natürliches Grundrecht gemäß Art. 6 (2) GG.

Die mangelnde Abwägung der Grundrechte von Kindern und Eltern in der familiengerichtlichen Praxis bewerten die Verbände als nicht verfassungs­konform.

1.5            Anhaltspunkte, Behauptungen, Unschuldsvermutung

Wie eingangs dargestellt, bewegt sich effektiver Gewaltschutz stets im Spannungsfeld einer Grundrechts­abwägung. Die Verbände sehen sich bezüglich des Referentenentwurfs gezwungen, das Bundesministerium der Justiz auf die Unschuldsvermutung als tragende Säule der Rechts­staat­lichkeit hinzuweisen: „in dubio pro reo“.

 

Das Vorliegen von „Anhaltspunkten“ ist keine ausreichende Grundlage für massive Eingriffe in die Grundrechte von Kind und Elternpersonen. Insbesondere dann nicht, wenn die einzigen Anhalts­punkte Behauptungen einer Partei sind. Denn dadurch würde die parteiische Behauptung un­zulässig mit einer gerichtlich überprüfbaren Tatsache gleichgesetzt.

 

Es bestehen daher große Zweifel, ob die angedachten Regelungen („Anhaltspunkte“) einer ver­fassungs­gerichtlichen Überprüfung standhalten werden.

 

Den Verbänden ist bewusst, dass Fälle existieren, in denen eine juristisch eindeutige Aufklärung des Zutreffens von Gewalt­vorwürfen schwierig ist und Opfer geschützt werden müssen. Hierbei muss jedoch die Verhältnismäßigkeit geachtet und es darf nicht die Hälfte der Elternpersonen unter Pauschalverdacht gestellt werden.

 

Bereits heute schließen Familiengerichte mitunter in rechtswidriger Weise Umgang und Sorge schon bei unbelegten Anschuldigungen aus. Diese grundrechtswidrige Praxis des pauschalen Umgangs mit hoch­komplexen Sachverhalten darf keinesfalls in gesetzliche Regelungen über­nommen werden.

 

Wichtigstes Kriterium für Gewaltschutzmaßnahmen müssen daher nicht „Anhaltspunkte“, sondern objektivierbare Gewalthandlungen sein.

Gewalthandlungen können sowohl von Frauen als auch von Männern ausgehen und sind in beiden Fällen gleichermaßen zu ahnden; Kinder sind in beiden Fällen gleichermaßen zu schützen.

 

Liegen keine objektivierbaren Gewalthandlungen vor, sondern vor allem subjektive Behauptungen und Beschuldigungen, so deutet dies vielmehr auf einen massiven Elternkonflikt hin, der zum Schutz des Kindes ebenso, aber mit anderen Mitteln, zu begrenzen ist. Die schwierige Aufgabe der Familiengerichte besteht darin, zwischen reinen Elternkonflikten und objektivierbaren Gewalt-handlungen zu differenzieren und individuell sinnvolle Interventionen anzuordnen.

 

Die Lösung des Gewaltschutz-Dilemmas besteht daher aus einer besseren Ausbildung der Richter­schaft, insbesondere hinsichtlich der psychischen Dynamiken von Elternkonflikten, und nicht in einer präventiven Umkehr der Unschuldsvermutung. 

1.6           Einvernehmen

Laut Referentenentwurf soll bereits ein unbelegter Gewaltvorwurf die elterliche Pflicht zum Ein­ver­nehmen aufheben können, die ja letztlich aus den Elternpflichten nach Art. 6 (2) GG begründet ist. [Zum Einvernehmen siehe § 156 FamFG, § 1626 BGB und § 1687 BGB.]

 

Der Passus zur Einvernehmlichk­eit wurde in das Familienrecht aufgenommen, um den Gerichten bei der Beurteilung des Kindeswohls ein weiteres wichtiges Indiz an die Hand zu geben und so auf einseitige Eskalation einwirken zu können. Denn gemeinsam ausgehandelte Lösungen der Eltern dienen dem Kindeswohl in aller Regel am besten, während vorsätzliche Eskalation dem Kind regelmäßig schadet.

 

Das den Eltern abgeforderte Bemühen um Einvernehmlichkeit ist also keine unzumutbare Ein­schränkung der persönlichen Freiheitsrechte, sondern dient dem Schutz des Kindes vor des­truktiven Verhaltensweisen und somit dem Schutz vor psychischer Gewalt. Es ist doch geradezu para­dox, dass diese sinnvolle Maßnahme zum Kinderschutz nun ausgerechnet im Namen des Gewalt­schutzes pauschal ausgehebelt werden soll. Sachgerecht ist hier – wie bisher auch – die gerichtliche Einzelfallprüfung.

 

Zur Bearbeitung von massiven Elternkonflikten (ohne objektivierbaren Gewalthandlungen, siehe Abschnitt 1.5) halten die unterzeichnenden Verbände es darüber hinaus für sehr sinnvoll, familien­therapeutische Angebote mit dem Ziel der Entlastung der Kinder zumindest probatorisch anordbar zu machen. Dies ist aus unserer Sicht aus den Elternpflichten nach Art. 6(2) GG begründbar und auch zumutbar.

1.7            Prozesstaktische Falschbeschuldigungen

Bereits heute ist es allgemeine und gerichtsbekannte Praxis, dass Rechtsvertreter, Aktivisten und Interessen­verbände aus prozess­taktischen Gründen zu Falschbeschuldigungen raten. Betroffene können sich dagegen nur mit sehr hohem Aufwand wehren.

 

So können Falschbeschuldigungen zwar nach § 164 StGB strafrechtlich verfolgt werden, derartige Verfahren werden aber in aller Regel umstandslos eingestellt. Ein großes Defizit des Referenten­entwurfs ist das völlige Fehlen der verfahrensrechtlichen Sanktion von falschen Beschul­digungen.

 

Andere EU-Länder gehen mit dieser Problematik so um, dass Familiengerichte die Auswirkungen erwiesenermaßen falscher Beschuldigungen auf das Kindeswohl sowie die Erziehungs­fähigkeit der so agierenden Elternperson prüfen und entsprechend handeln.

 

In Deutschland führen falsche Anschuldigungen nicht nur zu sofortigen Kontakt­einschränkungen und -abbrüchen zum Kind, sondern häufig auch zu Arbeitsplatzverlust und sozialer Ausgrenzung – insbesondere beim vor Familiengerichten regelmäßig anzutreffenden Vorwurf des sexuellen Missbrauchs.

 

Selbst bei erwiesener Unschuld wird die Bindung zwischen Kindern und fälschlich beschuldigtem Elternteil dauerhaft zerstört und kann im Nachhinein kaum wieder hergestellt werden. Auch ein Anspruch auf Schadensersatz für diese Form der psychischen Gewalt ist in aller Regel nicht durch­setzbar.

 

Der Entwurf verzichtet darauf, den Betroffenen Rechtsmittel zur Verfügung zu stellen, um sich gegen Falschbeschuldigungen wehren zu können. Ein Rechtsschutz findet faktisch nicht mehr statt.

1.8            Geheimhaltung des Wohnortes

Das vorgesehene Geheimhalten des Wohnortes der Kinder gegenüber dem anderen Elternteil auf­grund bloßer Behauptung von Gewalt ist rechtsstaatlich nicht haltbar. Dies wäre ein unverhältnis­mäßiger Eingriff in die Elternrechte.

 

Darüber hinaus bestünde für den beschuldigten Elternteil nach dem Entwurf keinerlei Möglichkeit, den ordnungsgemäßen Gerichtsstand oder ladungsfähige Anschrift für eine gerichtliche Über­prüfung zu ermitteln.

 

Die im GewSchG vorgesehenen Sanktionen sind als Gewaltpräventionsmaßnahmen pauschal aus­reichend. Allein bei systematischen Nachstellungen kann es nötig sein, ein Nachjustieren über das Mittel der Geheimhaltung des Aufenthaltsortes der gewaltbetroffenen Person anzuordnen. Dies hat jedoch im Rahmen des GewSchG zu erfolgen und muss die Ausnahme und darf nicht die Regel sein.

 

Eine Geheimhaltung des Wohnortes des Kindes verstößt gegen die Elternrechte (Art. 6 GG) und das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG).

1.9            Freie Wahl des Gerichtsstandes

Faktisch greift der Vorschlag auf freie Gerichtsstandwahl in das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG) ein. Bekanntermaßen entscheiden Familiengerichte in ähnlich gelagerten Fällen höchst unter­schiedlich, häufig abhängig vom jeweiligen OLG-Bezirk. Aufgrund der mangeln­den Qualitäts­sicherung in familien­rechtlichen Verfahren könnten somit Orte ausgesucht werden, in denen die Rechts­prechung den persönlichen Interessen eines Elternteils am nächsten kommt. Dies beeinträchtigt die Fairness des Verfahrens.

 

Weiterhin würde dies in der Regel erhöhten Aufwand und erhöhte (Reise-)Kosten für die zweiten Elternteile bedeuten, was jedoch in vielen Fällen gar nicht leistbar ist.

 

Auch die willkürliche Wahl des Gerichtsstands schränkt das Grundrecht auf rechtliches Gehör sowohl aus tatsächlichen, räumlichen und finanziellen Gründen massiv und unverhältnismäßig ein.


2                  Entfremdung als Gewaltform

Kinder haben ein Recht auf Beziehung zu beiden Eltern, unabhängig vom Ehestand. Dieses Recht ist sowohl auf Bundesebene als auch auf internationaler Ebene kodifiziert. [Siehe § 1684 Abs. 1 BGB, Art. 24 der EU-Grund­rechtecharta, Art. 9 UN-Kinderrechtskonvention, 7. Zusatzprotokoll der EMRK]

 

Dennoch verlieren jährlich rund 40.000 Kinder im Zuge einer Trennung dauerhaft den Kontakt zu einem Elternteil. Mit Abstand wurde kein anderes EU-Land diesbezüglich so oft wegen Menschen­rechts­verletzungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wie die Bundes­republik Deutschland.

 

Ein großer Teil dieser Kontaktabbrüche zwischen Eltern und Kind ist durch entfremdendes Ver­halten induziert. Es ist vor diesem Hintergrund schlicht schockierend, dass ein Gesetzentwurf zum Gewalt­schutz eine völlige Leerstelle bei der Problematik induzierter Kontaktabbrüche aufweist und darüber hinaus noch Regelungen enthält, die dazu geeignet sind, derartige Verletzungen von Menschen- und Kinder­rechten zu potenzieren.

 

Induzierte Kontaktabbrüche sind Menschen­rechts­verletzungen und psychische Gewalt gegen das Kind und den anderen Elternteil.

 

Die Verbände verurteilen ausdrücklich, dass der Entwurf psychische Gewalt durch Ent­fremdung – deren Existenz ausdrücklich vom EGMR als solche anerkannt ist – nicht berücksichtigt, obwohl diese das Leben von Kindern und Eltern häufig massiv und langfristig beeinträchtigt. [Eine aktuelle Zusammenstellung internationaler wissenschaftlicher Quellen zur Eltern-Kind-Entfremdung wurde im Rahmen einer Studie zum Kindesmissbrauch (KiMiss-Projekt) an der Universität Tübingen erstellt (Quelle).]

 

Den unterzeichnenden Verbänden ist bekannt, dass hierzulande einzelne, politisch und medial gut vernetzte Lobbyverbände das Phänomen der Eltern-Kind-Entfremdung leugnen, die eindeutige inter­nationale Studienlage hierzu ignorieren und massive Falschinformationen hierzu verbreiten, obwohl solche Fälle einen Großteil der Kapazitäten der Familiengerichte binden und dort täglich zu beobachten sind.[Weiterhin wird von Lobbyverbänden in jüngster Zeit auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 1076/23) verwiesen, das Entfremdung in Rn. 33 auf Basis eines einzigen Artikels des Deutschen Jugendinstituts in Abrede stellt. Die wissenschaftliche Seriosität dieses Artikels ist äußerst kritisch zu sehen (Quelle). Auch die Vorgänge um das Zustandekommen dieses Urteils erscheinen zweifelhaft (Quelle) und sind geeignet, die hohe Reputation des Bundesverfassungsgerichts ernsthaft zu beschädigen. ] Wir möchten daher konkret benennen, was unter Entfremdung zu verstehen ist und welche Maßnahmen es für einen tatsächlichen Gewalt- und Kinderschutz in diesem Bereich braucht.

 

2.1            Definition von Entfremdung

Entfremdung bedeutet aus Sicht der Verbände, wenn ein Elternteil aus persönlichen Motiven darauf hinwirkt, dass das Kind den Kontakt zum anderen Elternteil verliert.

 

Entfremdendes Verhalten liegt dann vor, wenn ein Elternteil

  • den Kontakt des Kindes zum anderen Elternteil gezielt erschwert oder sogar unmöglich macht,
  • ohne Zustimmung des anderen Elternteils mit dem Kind verzieht, so dass die geschaffene Distanz den Kontakt erschwert oder sogar unmöglich macht,
  • das Kind durch Manipulation in einen Loyalitätskonflikt treibt, so dass das Kind meint, sich für einen Elternteil entscheiden zu müssen oder
  • versucht, durch vorsätzliche Falschbeschuldigungen vor dem Familiengericht einen Umgangsausschluss zu erreichen.

Diese Kriterien wurden beispielsweise auch in der Definition des Kindeswohls im Österreichischen Recht aufgenommen. [Siehe § 138 ABGB Nr. 8 bis 10]

 

Entfremdendes Verhalten liegt explizit nicht vor, wenn 

  • der andere Elternteil von sich aus den Kontakt zum Kind ablehnt oder 
  • es objektivierbare Gründe im Sinne einer negativen Kindeswohlprüfung gibt, dass das Kind durch den Kontakt zum anderen Elternteil gefährdet ist und daher geschützt werden muss. Solche Gründe sind insbesondere Vernachlässigung, Gewalt gegen das Kind oder sexueller Missbrauch.

Entfremdendes Verhalten ist nicht geschlechtsspezifisch, sondern hat in aller Regel biographische Gründe. Es kann sowohl von Müttern als auch Vätern ausgehen, sowohl Mütter als auch Väter können Betroffene sein.

 

Opfer sind immer die Kinder.  

2.2            Rechtliche Fehlanreize

Bereits heute besteht im Familienrecht das Problem, dass einseitig eskalierendes Verhalten von Eltern nicht begrenzt, sondern systemisch gefördert wird.

 

Die in Abschnitt 2.1 dargestellten Entfremdungsstrategien sind allesamt strafrechtlich bewehrt. Kindesentziehung (§ 235 StGB [Kindesentziehung durch einen Elternteil ist aktuell nur strafrechtlich relevant, wenn er ins Ausland erfolgt. Der EuGH hat in Rechtssache C‑724/21, Beschluss vom 16.05.22 festgestellt, dass die unterschiedlichen Maß­stäbe (Inland / Ausland) diskriminierend sind. Der Handlungsbedarf wurde vom BMJ in einem Positionspapier von November 2023 bestätigt (Quelle).] ), prozesstaktische Falschbeschuldigungen (§ 164 StGB) oder sonstige Verletzungen der Fürsorgepflicht (§ 171 StGB i.V.m. § 1626 und § 1684 BGB) werden in Deutschland jedoch regelmäßig nicht verfolgt und diese Form der Gewaltausübung somit nicht sanktioniert.

 

Eskalation und psychische Gewalt des hauptbetreuenden Elternteils führen vor deutschen Familien­ge­richten in aller Regel zum Umgangsausschluss des anderen Elternteils und werden oft­mals mit der Alleinsorge belohnt. Teilweise entscheiden Familiengerichte auch gar nicht, sondern ver­legen sich auf die palliative Begleitung des Kontaktabbruchs zum Kind, so dass es zur Präjudizierung durch Zeitablauf kommt.

 

In dieser Gemengelage veröffentlicht das Bundesjustizministerium der Justiz nun einen Entwurf mit Maß­nahmen, die dazu geeignet sind, die grundrechtlich geschützte Beziehung der Kinder zu ihren Eltern vollständig auszuhöhlen, indem sie Kontaktabbrüche nicht verhindern, sondern forcieren. Dies sind insbesondere:

  • Gewaltvorwürfe ohne Nachweis bewirken durch Beweislastumkehr und Abschaffung der Unschuldsvermutung eine strukturelle rechtliche Schlechterstellung,
  • eine „präventive“ Unterbrechungen des Umgangs begünstigt durch den zeitlichen Verzug in Familienverfahren aufgrund des Prüfungsaufwands der Vorwürfe Kontaktabbrüche,
  • nicht legitimierter einseitiger Wegzug der Kinder reißt diese aus ihrem sozialen Umfeld und macht den Kontakt zum anderen Elternteil faktisch und oftmals auch finanziell unmöglich und
  • die Geheimhaltung der Wohnadresse der Kinder vor dem zweiten Elternteil verhindert nicht nur den Kontakt, sondern auch Anträge beim zuständigen Familiengericht.

Das familienrechtliche Verfahren gewinnt in Deutschland in aller Regel der Elternteil, der die Eskalationsdominanz besitzt. Falschbeschuldigungen, Manipulation des Kindes und einseitiger Weg­zug sowie Missachtung von Gerichtsterminen und -beschlüssen sind hierbei gängige Stra­tegien.

 

Im Familienverfahrensrecht besteht das grundsätzliche systemische Problem, dass destruktives Vorgehen nicht sanktioniert, sondern belohnt wird. Dynamisch bewirkt dies eine fortlaufende Verstärkung kindeswohlschädlicher Verhaltensweisen. Die immer stärkere Zunahme sozialer Halb­waisen in Deutschland ist also kein Zufall, sondern eine zwingend logische Folge der Rechtslage.

3                  Verfahrensrecht

3.1            Konkretisierung der Amtsermittlungspflichten des Gerichts in Kindschafts­sachen

Physische Gewalt ist eine Straftat nach StGB und fällt seit jeher in die Zuständigkeit von Straf­gerichten.

 

Der Entwurf weicht jedoch diese Zuständigkeit durch Veränderungen im Familienrecht auf. Dabei sind bereits heute personell und qualitativ überforderte Familiengerichte kaum in der Lage, die Erfahrung von Strafgerichten abzubilden. Zudem existieren an Familiengerichten weder die Auf­gaben­teilung zwischen Ermittlung, Anklage und Rechtsprechung noch eine direkte Kontrolle durch die Öffentlichkeit.

 

Deshalb steht zu befürchten, dass sich die bereits heute bekannte richterliche Willkür in Familien­rechtsverfahren auf strafrechtliche (Gewalt-) Sachverhalte ausweitet.

3.2            Beschwerderecht bei Umgangsausschluss

Der Entwurf sieht ein Beschwerderecht bei Umgangsausschlüssen vor (Neufassung § 57 FamFG). Damit soll – zumindest bei dauerhaftem Kontaktausschluss zu einem Elternteil – offenbar Kon­for­mi­tät mit Art. 103 GG hergestellt werden, die diesbezüglich bisher nicht gegeben war.

 

Gleichzeitig werden den Beschwerdegerichten aber umfassende Optionen eröffnet, den Fall ohne weitere Befassung vom Tisch zu wischen (Neufassung §68 FamFG).

 

Die Wirksamkeit eines neu eingeräumten Rechtsmittels wird im nächsten Paragraphen also faktisch gleich wieder aufgehoben. Redlicher wäre es, es bei der aktuellen Regelung zu belassen, aus der der Verstoß gegen Art. 6 und 103 GG wenigstens klar erkennbar ist.

3.3           Verbesserung des Informationsflusses zwischen den beteiligten Professionen

Die Verbände stimmen einem besseren Austausch zwischen den Professionen uneingeschränkt zu.

 

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit muss dieser Austausch sowohl für belastende, sondern auch ausdrücklich für entlastende Sachverhalte gelten.

3.4            Verfahrensbeistände

3.4.1    Vergütungspauschale

Die Verbände halten die Erhöhung der Pauschale für Verfahrensbeistände für sinnvoll, da für die bisherigen Stundensätze eine qualifizierte Arbeit kaum leistbar ist.

 

Es wird angeregt, dass die Höhe der Vergütung zukünftig nicht mehr im Gesetz, sondern in einer Verordnung geregelt ist, wie bei allen anderen Professionen auch. Auch sind die Kosten nicht von den betroffenen Elternteilen, sondern von den Jugendämtern zu tragen. Der Umstand, dass Eltern für die Wahrung der Grundrechte ihrer Kinder und von sich selbst hohe Belastungen eingehen müssen, ist unzumutbar.

3.4.2    Aufgaben

Die geplante Stärkung der Position des Verfahrensbeistands könnte in der Praxis dazu führen, dass die Perspektive des zweiten Elternteils unzureichend berücksichtigt wird. Angesichts der bereits heute teilweise fragwürdigen Qualifikationen der Verfahrensbeistände stellen sich die Verbände die Frage, ob die Beistände in der Lage sein können, zusätzliche Aufgaben im Zusammenhang mit Gewaltvorwürfen kompetent aufzuklären. Verfahrensbeistände sind per se keine Sach­ver­ständigen, sondern sollen ausdrücklich nur die Position der Kinder (und nicht der Eltern) ver­treten.

 

Zudem ist es dringend erforderlich, dass Verfahrensbeistände von neutraler Seite und nicht vom für den Fall zuständigen Richter bestellt werden. Eine am Kindeswillen orientierte Vertretung, die von der Haltung des zuständigen Richters abweicht, führt regelhaft zum Ausbleiben von Folge­be­auf­tragungen. Durch dieses finanzielle Abhängigkeitsverhältnis ist die im Gesetz geforderte un­ab­hängige Vertretung des Kindes oftmals nicht mehr gegeben.

 

Der Vorschlag erscheint als unausgewogen.

3.5            Erstattung von Dolmetscherkosten

Die Verbände begrüßen die Erstattung von Dolmetscherkosten, soweit die Einschaltung von Dolmetschern zur Verfahrensabwicklung nötig wird.

Mit gleicher Begründung wie unter 3.4.1 regen die Verbände an, dass die Vergütung in einer Verordnung geregelt wird und die Kosten von den Jugend­ämtern zu tragen sind.

3.6            Ausbildung der Familienrichterschaft

Die Politik hat in den letzten Jahren Defizite erkannt in der Ausbildung der Familienrichterschaft. Die Defizite beziehen sich dabei nicht auf die juristischen Kenntnisse, sondern auf psychologisches und familiensystemisches Wissen.

 

Würden die Aufgaben der Gerichte noch um strafrechtliche Ermittlungen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt erweitert, so steht ein Zusammenbrechen der Funktionsfähigkeit der Familien­gerichts­barkeit zu befürchten.

3.7            Zeitliche Verzögerung durch Überlastung

Ziel der letzten Reform des Familienrechts war u.a. die Beschleunigung der anstehenden Verfahren – zum Schutz der Kinder und ihrer Beziehungen zu beiden Eltern.

 

Würden aktuell Familiengerichte mit der Prüfung fachfremder Sachverhalte beauftragt, hätte dies zweifelsohne Auswirkungen auf Beginn und Dauer der Verfahren – zu Lasten der Kinder und der betroffenen Eltern.

 

Das bedeutet, dieser Entwurf läuft dem allgemein akzeptierten Ziel auf Verkürzung der Verfahren entgegen.

4              Politische Bedeutung

Gewaltschutz oder Kinder als Verfügungseigentum?

 

In den Kommentaren des Bundesministeriums der Justiz zum Gesetzesentwurf ist vordergründig geschlechtsneutral vom Schutz der gewaltbetroffenen Personen die Rede. Gleichzeitig wird auf die sogenannte „Istanbul-Konvention“ referiert mit dem darin vorgegebenen Schutzauftrag für „Frauen und Kinder“. Dies wiederum ist eine geschlechterpolitische Begrenzung des Schutz­auftrages und beschädigt den rechtsstaatlichen Charakter des Gesetzesentwurfes.

 

Bei genauer Betrachtung der Auswirkungen der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen entsteht der Eindruck, nicht Gewaltschutz ist das Ziel, sondern eher Möglichkeiten zum einfachen Hinaus­drängen der zweiten Elternteile aus den Trennungsfamilien – aufgrund einfacher „Behauptungen“ von Gewalt.

 

Umgesetzt werden soll dies durch Umgangseinschränkungen, Umgangsausschlüssen, Geheimhalten der Aufenthaltsorte der Kinder und das Recht auf willkürliche Gerichtswahl für den primär betreuenden Elternteil.

 

Dazu passt das Fehlen jeglicher Sanktionsmöglichkeiten gegenüber falsch beschuldigenden Personen. Die Opfer von Falschbeschuldigungen will der Entwurf schutzlos im Regen stehen lassen.

 

Der Gesetzesentwurf ist womöglich weniger Ausdruck des notwendigen Schutzes vor Gewalt als das Ergebnis des Einflusses einseitig aufgestellter Lobbyorganisationen, die vorwiegend die Interessen von Frauen und sogenannten „Alleinerziehenden“ vertreten. Die primär betreuenden Elternteile sollen rechtlich bessergestellt werden, die Eltern in den zweiten Haushalten schlechter bzw. im Zweifel im Hinblick auf ihre Kinder nahezu rechtlos gestellt werden. Eine Verhältnismäßigkeit ist nicht zu erkennen.

 

Der Entwurf spiegelt nicht die Erwartungen der Zivilgesellschaft wider.

5                  Schlussbemerkung / Fazit

Der vorgelegte Referentenentwurf aus dem BMJ verstößt gegen elementare recht­liche Grundsätze und durch die Verfassung garantierte Grundrechte. Er leistet damit nicht, was er vor­gibt, leisten zu wollen: Effektiven Schutz für Betroffene von häuslicher Gewalt.

 

Es gilt, die beiden berechtigten Anliegen „Gewaltschutz“ und die Grundrechte von Eltern, aber auch der Kinder sowie der Betroffenen von Anschuldigungen in angemessener Weise zu berücksichtigen. Dabei ignoriert der Entwurf jegliche Verhältnismäßigkeit.

 

Insbesondere der Bezug auf „behauptete“ Gewalt („Anhaltspunkte“) verstößt gegen den Grundsatz, der für alle Menschen in Deutschland zu gelten hat, die Unschuldsvermutung: „In dubio pro reo“. Diesen Grundsatz verlässt der Entwurf, „vorverurteilt“ den zweiten Elternteil in Trennungsfamilien ohne Vor­liegen eines Nachweises und sanktioniert diesen und die betroffenen Kinder drastisch mit Umgangsbeschränkungen, Umgangs­entzug sowie dem Entzug des grundgesetzlich geschützten Sorgerechts. Die un­aus­weich­lichen Folgen sind massive Schädigungen des Verhältnisses der Kinder zum zweiten Elternteil bis hin zu provozierten Kontaktabbrüchen.

 

Für die „anschuldigenden“ Eltern sieht der Entwurf massive tendenziöse Eingriffe in die Trennungs­familien vor wie unsanktionierter Wegzug des Elternteils mit dem Kind, Geheimhaltung des Aufenthaltsortes des Kindes sowie willkürliche Auswahl des Gerichtsstands zu Lasten des zweiten Elternteils.

Jede Verhältnismäßigkeit ignorierend, verzichtet der Entwurf im Falle von Falschbeschuldigungen auf jegliche Sanktion. Das ist unausgewogen und nicht angemessen für unser Rechtssystem.

 

Es ist unverständlich, weshalb das BMJ seine Politik nicht auf das bewährte Gewaltschutzgesetz (GewSchG) zentriert. Das GewSchG ist geschlechterneutral formuliert, definiert den Gewaltbegriff klar als nachgewiesene physische oder psychische Gewalt und wahrt sämtliche Grundsätze unserer Rechts­kultur.

Des Weiteren ist die angestrebte Vermischung von privatem Recht (Familienrecht) und öffentlichem Recht (Gewalt) im aktuellen Entwurf unzulässig.

 

Sollte der Entwurf in ein Gesetz überführt werden, droht nicht weniger als die Auflösung des bestehenden Familienrechts. Die von Herrn Bundesminister Dr. Buschmann wiederholt angekündigten, bis heute aber nicht als Referentenentwurf vorgelegten Reformen zum Familien­recht sind damit hinfällig. Eine gleichberechtigte Elternschaft, die heute in vielen euro­päischen Ländern, nicht aber in Deutschland existiert, wird damit zur Utopie.

 

Es ist unverständlich, weshalb sich das Bundesministerium der Justiz auf einen derart formulierten Gesetzesentwurf einlässt. Er weicht deutlich von dem Eckpunktepapier für eine Reform des Kind­schafts­rechts ab, welches das BMJ Anfang 2024 veröffentlicht hat [Eckpunktepapier des BMJ für eine Reform des Kindschaftsrechts vom 25.01.2024 (Quelle)]. Mit Gleichbehandlung der Rechts­subjekte, Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und Wahrung auch der Grundrechte der Kinder auf ihre beiden Eltern hat der vor­gelegte Entwurf nichts mehr zu tun.

 

Auch das Rekurrieren des BMJ auf ein – geschlechterpolitisch höchst einseitiges („Frauen und Kinder“) – internationales Übereinkommen wie die Istanbul-Konvention schadet dem um­fassenden Thema „Präventionen vor häuslicher Gewalt“ (für alle Menschen).

 

Die unterzeichnenden Verbände bewerten den vorgelegten Entwurf mit großer Sorge als schädlich und nicht grundrechtskonform. Wir fordern dringend die Rücknahme des Entwurfs sowie eine grund­legende Überarbeitung des Themas mit Fokus auf das bestehende, bewährte GewSchG mit partiellen Ergänzungen.

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