vom 18. Juli 2024
vom 28.08.2024
Die unterzeichnenden sechs Verbände Bundesinitiative Großeltern, Eltern für Kinder im Revier e.V., Forum Soziale Inklusion e.V., Papa Mama Auch e.V., Väteraufbruch für Kinder e.V. und Väter-Netzwerk e.V. bedanken sich für die Einladung zur Abgabe ihrer Stellungnahme gegenüber dem Bundesministerium der Justiz zu o. a. Referentenentwurf.
In der folgenden Stellungnahme beschränken sich die Verbände thematisch auf die Änderungsvorhaben bezüglich „Gewaltschutz und Familienrecht“ sowie auf die Thematiken „Verfahrensbeistände“ und „Familiensachen“ und gehen auf das Thema „Anpassungen in Versorgungsausgleichs- und Nachlasssachen“ nicht ein.
Bezüglich der Regelungen zum Gewaltschutz sehen die Verbände die reale Gefahr, dass es bei einer Umsetzung des Referentenentwurfs zu einer kompletten Aushebelung des Sorge- und Umgangsrechts kommt. Durch einseitigen Wegzug eines Elternteils mit dem Kind, verbunden mit einer Gewaltschutzanzeige, würden Tatsachen geschaffen, die sich einer gerichtlichen Überprüfung entziehen und effektiv zu einer Präjudizierung durch Zeitablauf führen. Hierdurch entsteht ein massiver Anreiz zu prozesstaktischen Falschbeschuldigungen – unabhängig vom Geschlecht der Eltern. Der Verlust eines Elternteils für Tausende von Trennungskindern wäre die Folge.
Der Schutz vor Gewalt ist ein Menschenrecht und dessen Durchsetzung somit uneingeschränkt zu befürworten. Der vorgelegte Referentenentwurf aus dem Bundesministerium der Justiz zielt nach eigener Vorgabe darauf ab, den Schutz von Opfern von häuslicher Gewalt zu stärken, was die unterzeichnenden Verbände ausdrücklich begrüßen.
Effektiver Gewaltschutz bewegt sich stets im Spannungsfeld einer Grundrechtsabwägung: Einerseits ist die körperliche und auch psychische Unversehrtheit unabhängig vom Geschlecht zu schützen, andererseits sind die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats zu wahren.
Insbesondere darf es keine Abkehr von der Unschuldsvermutung und erst recht keine „präventive“ Aberkennung von Grundrechten aufgrund von Gruppenzugehörigkeiten geben.
Die folgenden Ausführungen erfolgen im Kontext dieser Rechtsgüterabwägung.
Der Referentenentwurf bezieht sich ausdrücklich auf die „Istanbul-Konvention“ (IK). In diesem international verfassten Übereinkommen werden Maßnahmen gefordert zum Schutz für gewaltbetroffene „Frauen und Kinder“ (Präambel, Art. 1 IK).
Die IK ist nicht geschlechtsneutral verfasst und adressiert nicht die Menschen als Gesamtheit, sondern lediglich eine Gruppe von Menschen. Der Bezug zur IK eröffnet somit eine geschlechtsspezifische Täter‑Opfer‑Dichotomie, bei der Männer als Opfer und Frauen als Täterinnen oftmals nicht mitgemeint sind.
Der Gewaltbegriff (Art. 3 IK) ist zudem schwammig und uneindeutig gehalten. Darüber hinaus verwischt die rechtlich unabdingbare Unterscheidung zwischen subjektivem Empfinden und gerichtlich überprüfbarem Sachverhalt. Die IK ist somit nicht als Vorlage für ein humanistisches und grundrechtskonformes nationales Recht geeignet.
Die amtlichen Statistiken belegen, dass mit dieser Nichtberücksichtigung inzwischen fast 30% der Opfer häuslicher Gewalt im Hellfeld unsichtbar gemacht werden und nahezu keine Schutzinfrastruktur für diese Gruppe zur Verfügung steht. Die letzte Untersuchung durch das BMFSFJ erfolgte 2004. Die z. Zt. laufende Studie LeSuBiA soll 2025 veröffentlicht werden. Insofern ist unverständlich, dass ein Gesetz ohne eine aktuelle, belastbare Studie verabschiedet werden soll.
Jeder Mensch hat ein Grundrecht auf Schutz vor Gewalt. Ein geschlechtsspezifisches Straf- oder Familienrecht würde gegen das Diskriminierungsverbot nach Art. 3 GG verstoßen und ist aus Sicht der Verbände unzulässig.
In Deutschland besteht seit 2001 das zuletzt 2022 novellierte „Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen“ (Gewaltschutzgesetz - GewSchG). In diesem Gesetz (sowie auch in Teilen des FamFG) sind bereits heute wirksame Schutzmaßnahmen für potenzielle Opfer häuslicher Gewalt vorgesehen. Das Gesetz hat sich bewährt.
Das GewSchG ist geschlechtsneutral formuliert und geht von nachgewiesener Gewalt aus. Es definiert in § 1 einen Gewaltbegriff, der sich auf physische (Absatz 1) und psychische (Absatz 2) Gewalt bezieht. Demgegenüber versucht die IK, den Gewaltbegriff um eine wirtschaftliche Dimension zu erweitern (Art. 3 b IK), die nicht mit strafrechtlichen Bestimmungen korrespondiert und nicht überprüfbar ist.[Nach der Vorstellung einiger Lobbyverbände soll so beispielsweise eine strittige Unterhaltsfähigkeit oder -höhe als „wirtschaftliche Gewalt“ gewertet werden, was dann wiederum unmittelbare Auswirkungen auf kindschaftsrechtliche Regelungen hätte. Dies würde jedoch den notwendigen Rechtsschutz für Unterhaltspflichtige komplett aufheben.]
Eine rechtsstaatliche Definition von Gewalt muss klar abgrenzbar und gerichtlich objektivierbar sein.
Es ist daher richtig, dass sich der Referentenentwurf die im Gewaltschutzgesetz etablierte Definition von Gewalt zu eigen macht, die auch im Einklang mit der bundesdeutschen Rechtsordnung steht.
Die Textvorgaben in der Instanbul-Konvention konstruieren mit der wiederkehrenden Formulierung „Frauen und Kinder“ eine Symbiose zwischen Mutter und Kind. Dies multipliziert nicht nur tradierte Rollenstereotype, sondern schließt damit implizit auch die Möglichkeit von Gewalt der Mutter gegen das Kind aus. Der Widerspruch zum Grundrecht auf gleichberechtigte Elternschaft gemäß Art. 3 und Art. 6 GG ist offensichtlich.
Völlig übergangen wird mit diesem symbiotischen Ansatz jedoch die rechtliche Subjektstellung des Kindes im bundesdeutschen Recht. [Erstmals festgestellt in der Entscheidung des BVerfG vom 29.07.1968 (BVerfGE 24, 119), später kodifiziert in § 1 SGB VIII, siehe auch Art. 3 der UNKRK.]
Kinder haben eine eigene Grundrechtsposition, die demzufolge auch getrennt von denen der beiden Eltern zu betrachten ist.
Kritisch zu sehen ist daher die fehlende Unterscheidung bzw. die Vermischung der Beziehungsebenen: Kommt es zwischen den Eltern zu Konflikten auf der Partnerebene, so kann das zu Gewalt zwischen den Erwachsenen führen. Die Beziehungen zwischen den Eltern zu ihren Kindern müssen davon nicht betroffen sein.
Eine gegenüber ihrem Partner gewalttätige Frau muss nicht für ihre Kinder eine erziehungsunfähige Mutter sein. Gleiches hat für einen Vater zu gelten, der in unzulässiger Weise gewalttätig gegenüber seiner Partnerin geworden ist. Auch ist an die Fälle zu denken, in denen es ausschließlich um den konfliktreichen Zeitpunkt der Trennung herum beiderseitige Gewaltvorwürfe gibt, die nicht aufklärbar sind.
Solche komplexen Konfliktdynamiken können nicht durch pauschalisierende Gesetzesregelungen aufgelöst werden, sondern bedürfen einer hochgradig qualifizierten Expertise im Umgang mit den Betroffenen sowie einer gründlichen Abwägung konkurrierender Grundrechte. Die Grundrechtsposition des Kindes muss hierbei eigenständig betrachtet werden.
Im Unterschied zum GewSchG sieht der Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz eine Verquickung von Straftaten (Gewalt) mit dem Familienrecht vor. Dies ist eine fragwürdige Vermengung von öffentlichem und privatem Recht.
Laut dem vorgelegten Entwurf sollen künftig strafrechtlich relevante Beweiserhebungen in Familienverfahren erfolgen, obwohl Familiengerichte bereits heute häufig fachlich überfordert sind, den Qualitätsanforderungen an ihre originären Aufgaben nicht genügen und für strafrechtlich relevante Bewertungen nicht qualifiziert sind. [Die EU-Kommission weist in ihrem Rechtsstaatsbericht 2024 explizit darauf hin, dass die Ressourcen der Gerichte in Deutschland bereits heute nicht ausreichend sind. Es ist daher überhaupt nicht nachvollziehbar, wie die Familiengerichte – noch dazu ohne Ermittlungshelfer – strafrechtlich relevante Tatbestände eigenständig aufklären sollen.]
Die tagtäglichen Erfahrungen der Verbände aus der Betroffenenarbeit zeigen, dass mit den geltenden Rechtsnormen einzig eine unbelegte Anschuldigung reicht, um einem Kind temporär bis dauerhaft den Kontakt zu einem Elternteil zu nehmen. Der vorgelegte Entwurf verschärft dies und sieht drastische Eingriffe in die Grundrechte der betroffenen Kinder und der zeitlich weniger betreuenden Elternteile vor, nämlich:
Als Grundlage dafür sollen bloße Behauptungen („Anhaltspunkte“) ausreichen. Dabei ist die elterliche Sorge ein natürliches Grundrecht gemäß Art. 6 (2) GG.
Die mangelnde Abwägung der Grundrechte von Kindern und Eltern in der familiengerichtlichen Praxis bewerten die Verbände als nicht verfassungskonform.
Wie eingangs dargestellt, bewegt sich effektiver Gewaltschutz stets im Spannungsfeld einer Grundrechtsabwägung. Die Verbände sehen sich bezüglich des Referentenentwurfs gezwungen, das Bundesministerium der Justiz auf die Unschuldsvermutung als tragende Säule der Rechtsstaatlichkeit hinzuweisen: „in dubio pro reo“.
Das Vorliegen von „Anhaltspunkten“ ist keine ausreichende Grundlage für massive Eingriffe in die Grundrechte von Kind und Elternpersonen. Insbesondere dann nicht, wenn die einzigen Anhaltspunkte Behauptungen einer Partei sind. Denn dadurch würde die parteiische Behauptung unzulässig mit einer gerichtlich überprüfbaren Tatsache gleichgesetzt.
Es bestehen daher große Zweifel, ob die angedachten Regelungen („Anhaltspunkte“) einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung standhalten werden.
Den Verbänden ist bewusst, dass Fälle existieren, in denen eine juristisch eindeutige Aufklärung des Zutreffens von Gewaltvorwürfen schwierig ist und Opfer geschützt werden müssen. Hierbei muss jedoch die Verhältnismäßigkeit geachtet und es darf nicht die Hälfte der Elternpersonen unter Pauschalverdacht gestellt werden.
Bereits heute schließen Familiengerichte mitunter in rechtswidriger Weise Umgang und Sorge schon bei unbelegten Anschuldigungen aus. Diese grundrechtswidrige Praxis des pauschalen Umgangs mit hochkomplexen Sachverhalten darf keinesfalls in gesetzliche Regelungen übernommen werden.
Wichtigstes Kriterium für Gewaltschutzmaßnahmen müssen daher nicht „Anhaltspunkte“, sondern objektivierbare Gewalthandlungen sein.
Gewalthandlungen können sowohl von Frauen als auch von Männern ausgehen und sind in beiden Fällen gleichermaßen zu ahnden; Kinder sind in beiden Fällen gleichermaßen zu schützen.
Liegen keine objektivierbaren Gewalthandlungen vor, sondern vor allem subjektive Behauptungen und Beschuldigungen, so deutet dies vielmehr auf einen massiven Elternkonflikt hin, der zum Schutz des Kindes ebenso, aber mit anderen Mitteln, zu begrenzen ist. Die schwierige Aufgabe der Familiengerichte besteht darin, zwischen reinen Elternkonflikten und objektivierbaren Gewalt-handlungen zu differenzieren und individuell sinnvolle Interventionen anzuordnen.
Die Lösung des Gewaltschutz-Dilemmas besteht daher aus einer besseren Ausbildung der Richterschaft, insbesondere hinsichtlich der psychischen Dynamiken von Elternkonflikten, und nicht in einer präventiven Umkehr der Unschuldsvermutung.
Laut Referentenentwurf soll bereits ein unbelegter Gewaltvorwurf die elterliche Pflicht zum Einvernehmen aufheben können, die ja letztlich aus den Elternpflichten nach Art. 6 (2) GG begründet ist. [Zum Einvernehmen siehe § 156 FamFG, § 1626 BGB und § 1687 BGB.]
Der Passus zur Einvernehmlichkeit wurde in das Familienrecht aufgenommen, um den Gerichten bei der Beurteilung des Kindeswohls ein weiteres wichtiges Indiz an die Hand zu geben und so auf einseitige Eskalation einwirken zu können. Denn gemeinsam ausgehandelte Lösungen der Eltern dienen dem Kindeswohl in aller Regel am besten, während vorsätzliche Eskalation dem Kind regelmäßig schadet.
Das den Eltern abgeforderte Bemühen um Einvernehmlichkeit ist also keine unzumutbare Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte, sondern dient dem Schutz des Kindes vor destruktiven Verhaltensweisen und somit dem Schutz vor psychischer Gewalt. Es ist doch geradezu paradox, dass diese sinnvolle Maßnahme zum Kinderschutz nun ausgerechnet im Namen des Gewaltschutzes pauschal ausgehebelt werden soll. Sachgerecht ist hier – wie bisher auch – die gerichtliche Einzelfallprüfung.
Zur Bearbeitung von massiven Elternkonflikten (ohne objektivierbaren Gewalthandlungen, siehe Abschnitt 1.5) halten die unterzeichnenden Verbände es darüber hinaus für sehr sinnvoll, familientherapeutische Angebote mit dem Ziel der Entlastung der Kinder zumindest probatorisch anordbar zu machen. Dies ist aus unserer Sicht aus den Elternpflichten nach Art. 6(2) GG begründbar und auch zumutbar.
Bereits heute ist es allgemeine und gerichtsbekannte Praxis, dass Rechtsvertreter, Aktivisten und Interessenverbände aus prozesstaktischen Gründen zu Falschbeschuldigungen raten. Betroffene können sich dagegen nur mit sehr hohem Aufwand wehren.
So können Falschbeschuldigungen zwar nach § 164 StGB strafrechtlich verfolgt werden, derartige Verfahren werden aber in aller Regel umstandslos eingestellt. Ein großes Defizit des Referentenentwurfs ist das völlige Fehlen der verfahrensrechtlichen Sanktion von falschen Beschuldigungen.
Andere EU-Länder gehen mit dieser Problematik so um, dass Familiengerichte die Auswirkungen erwiesenermaßen falscher Beschuldigungen auf das Kindeswohl sowie die Erziehungsfähigkeit der so agierenden Elternperson prüfen und entsprechend handeln.
In Deutschland führen falsche Anschuldigungen nicht nur zu sofortigen Kontakteinschränkungen und -abbrüchen zum Kind, sondern häufig auch zu Arbeitsplatzverlust und sozialer Ausgrenzung – insbesondere beim vor Familiengerichten regelmäßig anzutreffenden Vorwurf des sexuellen Missbrauchs.
Selbst bei erwiesener Unschuld wird die Bindung zwischen Kindern und fälschlich beschuldigtem Elternteil dauerhaft zerstört und kann im Nachhinein kaum wieder hergestellt werden. Auch ein Anspruch auf Schadensersatz für diese Form der psychischen Gewalt ist in aller Regel nicht durchsetzbar.
Der Entwurf verzichtet darauf, den Betroffenen Rechtsmittel zur Verfügung zu stellen, um sich gegen Falschbeschuldigungen wehren zu können. Ein Rechtsschutz findet faktisch nicht mehr statt.
Das vorgesehene Geheimhalten des Wohnortes der Kinder gegenüber dem anderen Elternteil aufgrund bloßer Behauptung von Gewalt ist rechtsstaatlich nicht haltbar. Dies wäre ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Elternrechte.
Darüber hinaus bestünde für den beschuldigten Elternteil nach dem Entwurf keinerlei Möglichkeit, den ordnungsgemäßen Gerichtsstand oder ladungsfähige Anschrift für eine gerichtliche Überprüfung zu ermitteln.
Die im GewSchG vorgesehenen Sanktionen sind als Gewaltpräventionsmaßnahmen pauschal ausreichend. Allein bei systematischen Nachstellungen kann es nötig sein, ein Nachjustieren über das Mittel der Geheimhaltung des Aufenthaltsortes der gewaltbetroffenen Person anzuordnen. Dies hat jedoch im Rahmen des GewSchG zu erfolgen und muss die Ausnahme und darf nicht die Regel sein.
Eine Geheimhaltung des Wohnortes des Kindes verstößt gegen die Elternrechte (Art. 6 GG) und das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG).
Faktisch greift der Vorschlag auf freie Gerichtsstandwahl in das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG) ein. Bekanntermaßen entscheiden Familiengerichte in ähnlich gelagerten Fällen höchst unterschiedlich, häufig abhängig vom jeweiligen OLG-Bezirk. Aufgrund der mangelnden Qualitätssicherung in familienrechtlichen Verfahren könnten somit Orte ausgesucht werden, in denen die Rechtsprechung den persönlichen Interessen eines Elternteils am nächsten kommt. Dies beeinträchtigt die Fairness des Verfahrens.
Weiterhin würde dies in der Regel erhöhten Aufwand und erhöhte (Reise-)Kosten für die zweiten Elternteile bedeuten, was jedoch in vielen Fällen gar nicht leistbar ist.
Auch die willkürliche Wahl des Gerichtsstands schränkt das Grundrecht auf rechtliches Gehör sowohl aus tatsächlichen, räumlichen und finanziellen Gründen massiv und unverhältnismäßig ein.
Kinder haben ein Recht auf Beziehung zu beiden Eltern, unabhängig vom Ehestand. Dieses Recht ist sowohl auf Bundesebene als auch auf internationaler Ebene kodifiziert. [Siehe § 1684 Abs. 1 BGB, Art. 24 der EU-Grundrechtecharta, Art. 9 UN-Kinderrechtskonvention, 7. Zusatzprotokoll der EMRK]
Dennoch verlieren jährlich rund 40.000 Kinder im Zuge einer Trennung dauerhaft den Kontakt zu einem Elternteil. Mit Abstand wurde kein anderes EU-Land diesbezüglich so oft wegen Menschenrechtsverletzungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wie die Bundesrepublik Deutschland.
Ein großer Teil dieser Kontaktabbrüche zwischen Eltern und Kind ist durch entfremdendes Verhalten induziert. Es ist vor diesem Hintergrund schlicht schockierend, dass ein Gesetzentwurf zum Gewaltschutz eine völlige Leerstelle bei der Problematik induzierter Kontaktabbrüche aufweist und darüber hinaus noch Regelungen enthält, die dazu geeignet sind, derartige Verletzungen von Menschen- und Kinderrechten zu potenzieren.
Induzierte Kontaktabbrüche sind Menschenrechtsverletzungen und psychische Gewalt gegen das Kind und den anderen Elternteil.
Die Verbände verurteilen ausdrücklich, dass der Entwurf psychische Gewalt durch Entfremdung – deren Existenz ausdrücklich vom EGMR als solche anerkannt ist – nicht berücksichtigt, obwohl diese das Leben von Kindern und Eltern häufig massiv und langfristig beeinträchtigt. [Eine aktuelle Zusammenstellung internationaler wissenschaftlicher Quellen zur Eltern-Kind-Entfremdung wurde im Rahmen einer Studie zum Kindesmissbrauch (KiMiss-Projekt) an der Universität Tübingen erstellt (Quelle).]
Den unterzeichnenden Verbänden ist bekannt, dass hierzulande einzelne, politisch und medial gut vernetzte Lobbyverbände das Phänomen der Eltern-Kind-Entfremdung leugnen, die eindeutige internationale Studienlage hierzu ignorieren und massive Falschinformationen hierzu verbreiten, obwohl solche Fälle einen Großteil der Kapazitäten der Familiengerichte binden und dort täglich zu beobachten sind.[Weiterhin wird von Lobbyverbänden in jüngster Zeit auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (1 BvR 1076/23) verwiesen, das Entfremdung in Rn. 33 auf Basis eines einzigen Artikels des Deutschen Jugendinstituts in Abrede stellt. Die wissenschaftliche Seriosität dieses Artikels ist äußerst kritisch zu sehen (Quelle). Auch die Vorgänge um das Zustandekommen dieses Urteils erscheinen zweifelhaft (Quelle) und sind geeignet, die hohe Reputation des Bundesverfassungsgerichts ernsthaft zu beschädigen. ] Wir möchten daher konkret benennen, was unter Entfremdung zu verstehen ist und welche Maßnahmen es für einen tatsächlichen Gewalt- und Kinderschutz in diesem Bereich braucht.
Entfremdung bedeutet aus Sicht der Verbände, wenn ein Elternteil aus persönlichen Motiven darauf hinwirkt, dass das Kind den Kontakt zum anderen Elternteil verliert.
Entfremdendes Verhalten liegt dann vor, wenn ein Elternteil
Diese Kriterien wurden beispielsweise auch in der Definition des Kindeswohls im Österreichischen Recht aufgenommen. [Siehe § 138 ABGB Nr. 8 bis 10]
Entfremdendes Verhalten liegt explizit nicht vor, wenn
Entfremdendes Verhalten ist nicht geschlechtsspezifisch, sondern hat in aller Regel biographische Gründe. Es kann sowohl von Müttern als auch Vätern ausgehen, sowohl Mütter als auch Väter können Betroffene sein.
Opfer sind immer die Kinder.
Bereits heute besteht im Familienrecht das Problem, dass einseitig eskalierendes Verhalten von Eltern nicht begrenzt, sondern systemisch gefördert wird.
Die in Abschnitt 2.1 dargestellten Entfremdungsstrategien sind allesamt strafrechtlich bewehrt. Kindesentziehung (§ 235 StGB [Kindesentziehung durch einen Elternteil ist aktuell nur strafrechtlich relevant, wenn er ins Ausland erfolgt. Der EuGH hat in Rechtssache C‑724/21, Beschluss vom 16.05.22 festgestellt, dass die unterschiedlichen Maßstäbe (Inland / Ausland) diskriminierend sind. Der Handlungsbedarf wurde vom BMJ in einem Positionspapier von November 2023 bestätigt (Quelle).] ), prozesstaktische Falschbeschuldigungen (§ 164 StGB) oder sonstige Verletzungen der Fürsorgepflicht (§ 171 StGB i.V.m. § 1626 und § 1684 BGB) werden in Deutschland jedoch regelmäßig nicht verfolgt und diese Form der Gewaltausübung somit nicht sanktioniert.
Eskalation und psychische Gewalt des hauptbetreuenden Elternteils führen vor deutschen Familiengerichten in aller Regel zum Umgangsausschluss des anderen Elternteils und werden oftmals mit der Alleinsorge belohnt. Teilweise entscheiden Familiengerichte auch gar nicht, sondern verlegen sich auf die palliative Begleitung des Kontaktabbruchs zum Kind, so dass es zur Präjudizierung durch Zeitablauf kommt.
In dieser Gemengelage veröffentlicht das Bundesjustizministerium der Justiz nun einen Entwurf mit Maßnahmen, die dazu geeignet sind, die grundrechtlich geschützte Beziehung der Kinder zu ihren Eltern vollständig auszuhöhlen, indem sie Kontaktabbrüche nicht verhindern, sondern forcieren. Dies sind insbesondere:
Das familienrechtliche Verfahren gewinnt in Deutschland in aller Regel der Elternteil, der die Eskalationsdominanz besitzt. Falschbeschuldigungen, Manipulation des Kindes und einseitiger Wegzug sowie Missachtung von Gerichtsterminen und -beschlüssen sind hierbei gängige Strategien.
Im Familienverfahrensrecht besteht das grundsätzliche systemische Problem, dass destruktives Vorgehen nicht sanktioniert, sondern belohnt wird. Dynamisch bewirkt dies eine fortlaufende Verstärkung kindeswohlschädlicher Verhaltensweisen. Die immer stärkere Zunahme sozialer Halbwaisen in Deutschland ist also kein Zufall, sondern eine zwingend logische Folge der Rechtslage.
Physische Gewalt ist eine Straftat nach StGB und fällt seit jeher in die Zuständigkeit von Strafgerichten.
Der Entwurf weicht jedoch diese Zuständigkeit durch Veränderungen im Familienrecht auf. Dabei sind bereits heute personell und qualitativ überforderte Familiengerichte kaum in der Lage, die Erfahrung von Strafgerichten abzubilden. Zudem existieren an Familiengerichten weder die Aufgabenteilung zwischen Ermittlung, Anklage und Rechtsprechung noch eine direkte Kontrolle durch die Öffentlichkeit.
Deshalb steht zu befürchten, dass sich die bereits heute bekannte richterliche Willkür in Familienrechtsverfahren auf strafrechtliche (Gewalt-) Sachverhalte ausweitet.
Der Entwurf sieht ein Beschwerderecht bei Umgangsausschlüssen vor (Neufassung § 57 FamFG). Damit soll – zumindest bei dauerhaftem Kontaktausschluss zu einem Elternteil – offenbar Konformität mit Art. 103 GG hergestellt werden, die diesbezüglich bisher nicht gegeben war.
Gleichzeitig werden den Beschwerdegerichten aber umfassende Optionen eröffnet, den Fall ohne weitere Befassung vom Tisch zu wischen (Neufassung §68 FamFG).
Die Wirksamkeit eines neu eingeräumten Rechtsmittels wird im nächsten Paragraphen also faktisch gleich wieder aufgehoben. Redlicher wäre es, es bei der aktuellen Regelung zu belassen, aus der der Verstoß gegen Art. 6 und 103 GG wenigstens klar erkennbar ist.
Die Verbände stimmen einem besseren Austausch zwischen den Professionen uneingeschränkt zu.
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit muss dieser Austausch sowohl für belastende, sondern auch ausdrücklich für entlastende Sachverhalte gelten.
Die Verbände halten die Erhöhung der Pauschale für Verfahrensbeistände für sinnvoll, da für die bisherigen Stundensätze eine qualifizierte Arbeit kaum leistbar ist.
Es wird angeregt, dass die Höhe der Vergütung zukünftig nicht mehr im Gesetz, sondern in einer Verordnung geregelt ist, wie bei allen anderen Professionen auch. Auch sind die Kosten nicht von den betroffenen Elternteilen, sondern von den Jugendämtern zu tragen. Der Umstand, dass Eltern für die Wahrung der Grundrechte ihrer Kinder und von sich selbst hohe Belastungen eingehen müssen, ist unzumutbar.
Die geplante Stärkung der Position des Verfahrensbeistands könnte in der Praxis dazu führen, dass die Perspektive des zweiten Elternteils unzureichend berücksichtigt wird. Angesichts der bereits heute teilweise fragwürdigen Qualifikationen der Verfahrensbeistände stellen sich die Verbände die Frage, ob die Beistände in der Lage sein können, zusätzliche Aufgaben im Zusammenhang mit Gewaltvorwürfen kompetent aufzuklären. Verfahrensbeistände sind per se keine Sachverständigen, sondern sollen ausdrücklich nur die Position der Kinder (und nicht der Eltern) vertreten.
Zudem ist es dringend erforderlich, dass Verfahrensbeistände von neutraler Seite und nicht vom für den Fall zuständigen Richter bestellt werden. Eine am Kindeswillen orientierte Vertretung, die von der Haltung des zuständigen Richters abweicht, führt regelhaft zum Ausbleiben von Folgebeauftragungen. Durch dieses finanzielle Abhängigkeitsverhältnis ist die im Gesetz geforderte unabhängige Vertretung des Kindes oftmals nicht mehr gegeben.
Der Vorschlag erscheint als unausgewogen.
Die Verbände begrüßen die Erstattung von Dolmetscherkosten, soweit die Einschaltung von Dolmetschern zur Verfahrensabwicklung nötig wird.
Mit gleicher Begründung wie unter 3.4.1 regen die Verbände an, dass die Vergütung in einer Verordnung geregelt wird und die Kosten von den Jugendämtern zu tragen sind.
Die Politik hat in den letzten Jahren Defizite erkannt in der Ausbildung der Familienrichterschaft. Die Defizite beziehen sich dabei nicht auf die juristischen Kenntnisse, sondern auf psychologisches und familiensystemisches Wissen.
Würden die Aufgaben der Gerichte noch um strafrechtliche Ermittlungen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt erweitert, so steht ein Zusammenbrechen der Funktionsfähigkeit der Familiengerichtsbarkeit zu befürchten.
Ziel der letzten Reform des Familienrechts war u.a. die Beschleunigung der anstehenden Verfahren – zum Schutz der Kinder und ihrer Beziehungen zu beiden Eltern.
Würden aktuell Familiengerichte mit der Prüfung fachfremder Sachverhalte beauftragt, hätte dies zweifelsohne Auswirkungen auf Beginn und Dauer der Verfahren – zu Lasten der Kinder und der betroffenen Eltern.
Das bedeutet, dieser Entwurf läuft dem allgemein akzeptierten Ziel auf Verkürzung der Verfahren entgegen.
Gewaltschutz oder Kinder als Verfügungseigentum?
In den Kommentaren des Bundesministeriums der Justiz zum Gesetzesentwurf ist vordergründig geschlechtsneutral vom Schutz der gewaltbetroffenen Personen die Rede. Gleichzeitig wird auf die sogenannte „Istanbul-Konvention“ referiert mit dem darin vorgegebenen Schutzauftrag für „Frauen und Kinder“. Dies wiederum ist eine geschlechterpolitische Begrenzung des Schutzauftrages und beschädigt den rechtsstaatlichen Charakter des Gesetzesentwurfes.
Bei genauer Betrachtung der Auswirkungen der vorgeschlagenen Gesetzesänderungen entsteht der Eindruck, nicht Gewaltschutz ist das Ziel, sondern eher Möglichkeiten zum einfachen Hinausdrängen der zweiten Elternteile aus den Trennungsfamilien – aufgrund einfacher „Behauptungen“ von Gewalt.
Umgesetzt werden soll dies durch Umgangseinschränkungen, Umgangsausschlüssen, Geheimhalten der Aufenthaltsorte der Kinder und das Recht auf willkürliche Gerichtswahl für den primär betreuenden Elternteil.
Dazu passt das Fehlen jeglicher Sanktionsmöglichkeiten gegenüber falsch beschuldigenden Personen. Die Opfer von Falschbeschuldigungen will der Entwurf schutzlos im Regen stehen lassen.
Der Gesetzesentwurf ist womöglich weniger Ausdruck des notwendigen Schutzes vor Gewalt als das Ergebnis des Einflusses einseitig aufgestellter Lobbyorganisationen, die vorwiegend die Interessen von Frauen und sogenannten „Alleinerziehenden“ vertreten. Die primär betreuenden Elternteile sollen rechtlich bessergestellt werden, die Eltern in den zweiten Haushalten schlechter bzw. im Zweifel im Hinblick auf ihre Kinder nahezu rechtlos gestellt werden. Eine Verhältnismäßigkeit ist nicht zu erkennen.
Der Entwurf spiegelt nicht die Erwartungen der Zivilgesellschaft wider.
Der vorgelegte Referentenentwurf aus dem BMJ verstößt gegen elementare rechtliche Grundsätze und durch die Verfassung garantierte Grundrechte. Er leistet damit nicht, was er vorgibt, leisten zu wollen: Effektiven Schutz für Betroffene von häuslicher Gewalt.
Es gilt, die beiden berechtigten Anliegen „Gewaltschutz“ und die Grundrechte von Eltern, aber auch der Kinder sowie der Betroffenen von Anschuldigungen in angemessener Weise zu berücksichtigen. Dabei ignoriert der Entwurf jegliche Verhältnismäßigkeit.
Insbesondere der Bezug auf „behauptete“ Gewalt („Anhaltspunkte“) verstößt gegen den Grundsatz, der für alle Menschen in Deutschland zu gelten hat, die Unschuldsvermutung: „In dubio pro reo“. Diesen Grundsatz verlässt der Entwurf, „vorverurteilt“ den zweiten Elternteil in Trennungsfamilien ohne Vorliegen eines Nachweises und sanktioniert diesen und die betroffenen Kinder drastisch mit Umgangsbeschränkungen, Umgangsentzug sowie dem Entzug des grundgesetzlich geschützten Sorgerechts. Die unausweichlichen Folgen sind massive Schädigungen des Verhältnisses der Kinder zum zweiten Elternteil bis hin zu provozierten Kontaktabbrüchen.
Für die „anschuldigenden“ Eltern sieht der Entwurf massive tendenziöse Eingriffe in die Trennungsfamilien vor wie unsanktionierter Wegzug des Elternteils mit dem Kind, Geheimhaltung des Aufenthaltsortes des Kindes sowie willkürliche Auswahl des Gerichtsstands zu Lasten des zweiten Elternteils.
Jede Verhältnismäßigkeit ignorierend, verzichtet der Entwurf im Falle von Falschbeschuldigungen auf jegliche Sanktion. Das ist unausgewogen und nicht angemessen für unser Rechtssystem.
Es ist unverständlich, weshalb das BMJ seine Politik nicht auf das bewährte Gewaltschutzgesetz (GewSchG) zentriert. Das GewSchG ist geschlechterneutral formuliert, definiert den Gewaltbegriff klar als nachgewiesene physische oder psychische Gewalt und wahrt sämtliche Grundsätze unserer Rechtskultur.
Des Weiteren ist die angestrebte Vermischung von privatem Recht (Familienrecht) und öffentlichem Recht (Gewalt) im aktuellen Entwurf unzulässig.
Sollte der Entwurf in ein Gesetz überführt werden, droht nicht weniger als die Auflösung des bestehenden Familienrechts. Die von Herrn Bundesminister Dr. Buschmann wiederholt angekündigten, bis heute aber nicht als Referentenentwurf vorgelegten Reformen zum Familienrecht sind damit hinfällig. Eine gleichberechtigte Elternschaft, die heute in vielen europäischen Ländern, nicht aber in Deutschland existiert, wird damit zur Utopie.
Es ist unverständlich, weshalb sich das Bundesministerium der Justiz auf einen derart formulierten Gesetzesentwurf einlässt. Er weicht deutlich von dem Eckpunktepapier für eine Reform des Kindschaftsrechts ab, welches das BMJ Anfang 2024 veröffentlicht hat [Eckpunktepapier des BMJ für eine Reform des Kindschaftsrechts vom 25.01.2024 (Quelle)]. Mit Gleichbehandlung der Rechtssubjekte, Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen und Wahrung auch der Grundrechte der Kinder auf ihre beiden Eltern hat der vorgelegte Entwurf nichts mehr zu tun.
Auch das Rekurrieren des BMJ auf ein – geschlechterpolitisch höchst einseitiges („Frauen und Kinder“) – internationales Übereinkommen wie die Istanbul-Konvention schadet dem umfassenden Thema „Präventionen vor häuslicher Gewalt“ (für alle Menschen).
Die unterzeichnenden Verbände bewerten den vorgelegten Entwurf mit großer Sorge als schädlich und nicht grundrechtskonform. Wir fordern dringend die Rücknahme des Entwurfs sowie eine grundlegende Überarbeitung des Themas mit Fokus auf das bestehende, bewährte GewSchG mit partiellen Ergänzungen.