Wechselmodell vs. Residenzmodell / Doppelresidenz / Paritätische Betreuung

Bild: Netzfund
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Feedback zum MDR-Beitrag: „Wie das Wechselmodell für Trennungs-Kinder funktionieren kann“

 

 

Gerne habe ich den oben genannten Beitrag (unter https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/wechselmodell-eltern-kinder-vorteile-nachteile-100.html, Stand 27.04.2022) zum Anlass genommen, um unsere Haltung zur Betreuung nach Trennung zu Papier zu bringen.

Ausgangspunkt:

Für unsere Kinder sind in der Regel BEIDE Eltern ein Leben lang von besonderer Bedeutung. Das endet weder nach der Kindheit noch nach der Jugend. Auch im Prozess der Pubertät bleiben Eltern für Kinder bedeutsam und wichtig, auch wenn es manche „genervte Jugendliche“ in dieser Lebensphase nicht so sehen (wollen).

 

Nach Trennung bricht für Kinder eine Welt zusammen, wenn sich die Eltern trennen. Oft auch nach leidvollen Konflikten. Ab hier ist es besonders wichtig, dass die Eltern die „besten objektiven Interessen der Kinder“ (die manipulationsbedingt konträr zum dann geäußerten Kindeswillen sein können) im Blick behalten, notfalls mit externer Hilfe.

 

Wenn nicht vermeidbar, wollen sie in der Regel auf keinen Elternteil verzichten. Es entspricht insoweit den „besten objektiven Interessen der Kinder“, ihnen auch nach Trennung die Sicherheit der ausgewogenen Betreuung durch beide Eltern zu ermöglichen. Das sollte der Ausgangspunkt sein, von dem aus in „bestem objektiven Interesse des Kindes“ gedacht werden sollte. Dieses ist ausdrücklich noch kein Zwang zu einem Modell, sondern vielmehr eine zeitgemäße Veränderung des Blickwinkels, wie er den objektiven Bedürfnissen der Kinder in der Regel am besten entspricht.

 

(An dieser Stelle kann man Defizite in Fachkenntnis und Ideologien des Helfersystems, Gesetzeslücken, subjektive Interessen der Elternpersonen in eigenem Verhalten und eigenen Ansichten sowie in Fehlverhalten und Falschansichten des/der ehemaligen Partner:in sowie der damit einhergehende, eben nicht gelingende Wechsel von der Paarebene auf die Elternebene nach Trennung thematisieren. Davon sehe ich ab, da es ein umfangreicher eigener Bereich ist)

Betreuung nach Trennung – Getrennterziehen ist unsichtbar

Grundsätzlich stimmen wir überein, dass ein „Zwangsmodell“ klar abzulehnen ist, weil es die individuellen „besten objektiven Interessen der Kinder nach Trennung“ gar nicht berücksichtigen kann. Insoweit ist der Gesetzgeber, ist die Politik noch immer gegenüber den tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten um Jahrzehnte im Rückstand, da wir aufgrund der Gesetzeslage seit Jahrzehnten ein „Zwangsmodell“ haben, nämlich das sog. Residenzmodell. Dieses äußert sich:

 

  • im Mikrozensus (es gibt dort kein Getrennterziehen). Ein Beispiel gab es aktuell auf Twitter. Zitat: „Wir Eltern leben getrennt. Kinder leben im Wechselmodell 50:50. Kinder sind bei mir gemeldet. Kindergeld erhalte ich. Geeinigt haben wir uns außergerichtlich. Wir waren nie verheiratet. Wie werde ich statistisch erfasst? Bin ich Alleinerziehende?“ Quelle: https://twitter.com/JennyA23808443/status/1518623976544772097?s=20&t=az9WV5UAAIj6LhEZGE25ww. Getrennterziehend findet im Mikrozensus der Bundesrepublik Deutschland nicht statt. Die Mutter im obigen Fall gilt als „Alleinerziehend“, der Vater als „Alleinstehend“. Fehler im System per Gesetz.
  • im Unterhaltsrecht: Ein mir bekannter Vater betreut seine Kinder zu 46 Prozent, die Mutter zu 54 Prozent. Der Vater verzichtet auf Gehalt, muss dennoch der Mutter den vollen Unterhalt zahlen. Und kommt selbst kaum über die Runden.
  • im „Wording“ des Familienrechts und der Kinder- und Jugendhilfe: Es wird noch immer von „Umgang“ gesprochen – ein diskriminierendes Wort. Wie ist das in der paritätischen Betreuung: Welche Elternperson hat denn „Umgang“? Und bei welchem Betreuungsanteil wird aus „Betreuung“ nur noch „Umgang“?
  • im Sozial- und Steuerrecht: Die Elternperson, die nur „Umgang“ hat, hat die Belastung eines zusätzlichen Kinderzimmers und weiterer Kosten vollständig allein zu tragen. Bei Hartz-4-Empfängern ist ein Kinderzimmer beim „Elternteil 2. Klasse“ nicht einmal vorgesehen und wird nicht bezahlt.
  • um nur einige Beispiele zu nennen…

Räumliche Entfernung bei Betreuungsmodellen

Die räumliche Entfernung der Elternhäuser ist sicherlich ein Aspekt, der (unter Berücksichtigung des Alters und der Entwicklung der Kinder) bei den quantitativen Anteilen nicht unerheblich ist. Eine Entfernung von mehr als einer Stunde Fahrzeit macht eine paritätische Betreuung mit jedem Kilometer und mit jedem Altersjahr des Kindes zunehmend schwieriger bis unmöglich. Das sollte jedoch nicht von vornherein dazu führen, eine möglichst paritätische Betreuung durch beide Eltern in Frage zu stellen. Vielmehr sollten sich mit den Jahren innerhalb des Familiensystems (für Kinder bleiben auch nach Trennung beide Eltern samt Großeltern und Verwandten die Familie) die Betreuungsanteile in nicht zu kleinen Abständen (Kontinuität) immer wieder anpassen. Bei Kleinstkindern ist viel Zeit mit beiden Eltern den Kindern sehr wichtig, bei älteren Kindern werden mit der Zeit Freunde (mithin die Abnabelung von den Eltern und eigene soziale Umfelder) immer bedeutsamer.

 

Hier sollten Elternpersonen, wenn die Möglichkeit besteht, ihre Lebensmittelpunkte selbst und proaktiv so nahe wie möglich an den Schulort des Kindes verlegen oder – im besten Falle gemeinsam mit dem Kind / Jugendlichen – die Betreuungsanteile den „besten objektiven Interessen des Kindes“ anpassen.

 

Auch ohne Trennung ist der Begriff „Elterntaxi“ den meisten Eltern nicht unbekannt. Betreuung von Kindern ist niemals „ohne“, egal in welchen Betreuungsmodellen Kinder aufwachsen.

Sich ändernde altersbedingte Bedürfnisse der Kinder

Mit jedem Lebensjahr ändern sich die individuellen Bedürfnisse der Kinder. Kleine Kinder gewichten, wie bereits erwähnt, das Zusammensein mit beiden Eltern in paritätischer Betreuung (häufig) höher als Teenager. Aus diesem Grunde ist nicht nachvollziehbar, warum Betreuungsformen derart vereinfacht pauschal befürwortet oder abgelehnt werden.

Kommunikation und Verhalten der Eltern

Konflikte zwischen den Eltern sind für Kinder nahezu vollständig ein gigantisches Problem, dem sie sich entziehen möchten. Und denen sie sich – wo immer möglich – entziehen möchten. Notfalls sogar durch Ablehnung einer Elternperson.

 

Deshalb ist es unabhängig vom Betreuungsmodell enorm wichtig, bei andauernden Konflikten zu erkennen, aus welcher Motivlage Konflikte entstehen, welche Elternperson konstruktiv oder destruktiv agiert und welche Elternperson an Beilegungen und Verbesserungen der Lage mitwirkt oder sich (auch durch Passivität) verweigert. Wo nötig, müssen Mitarbeitende des Helfersystems auch in der Dynamik von Trennungskonflikten geschult werden, um auch „subtile“ Destruktivität (z. B. vergiftete Belobigungen) zu erkennen oder im Rahmen von Konflikten zielgerichtet intervenieren zu können. Überbehütung oder übertriebene Fürsorge sind ebenso kritisch zu beurteilen wie Vernachlässigung oder „Parken vor dem Fernseher“. Die nicht schädigende Verschiedenartigkeit von Elternpersonen sind für eine gute Sozialisierung von Kindern dagegen wichtig. Eine Suche – egal ob von einer Elternperson oder aus dem Helfersystem ausgehend – nach der „perfekten Elternperson“ oder „Unperfektion einer Elterperson“ ist dabei eher konfliktfördernd, häufig übergriffig verstehbar und keinesfalls im „besten objektiven Interesse von Kindern“. Das Kind hat nur diese eine Mutter, diesen einen Vater. Wer will ernsthaft beurteilen, was die Definition „perfekte Elternperson“ ist? Ist man selbst in der eigenen Elternrolle perfekt?

 

Es ist in unserer Gesellschaft breiter Konsens: „Streiten, spalten oder tyrannisieren ist nicht tolerabel.“ Das sollte auch dann gelten, wenn es um Trennungskonflikte geht, in denen Kinder Leidtragende sind. Der Schutz und die „besten objektiven Interessen unserer Kinder“ sollten der Maßstab für die richtigen Formen von Interventionen oder Sanktionen sein. Das bedeutet im Sinne der Kinder auch, dass ermittelt werden muss, ob ein Betreuungsmodell vielleicht sogar gezielt durch Destruktivität verhindert werden soll. Das darf nicht toleriert werden. Es darf nicht sein, dass die Einsparung von Unterhalt als alleiniger Grund funktioniert. Ebenso darf es nicht sein, dass Streit geschürt wird, um sich als hauptbetreuende Elternperson den vollen Unterhalt zu sichern oder sogar die andere Elternperson aus dem Leben des Kindes rauszudrängen, was im Residenzmodell sogar sehr oft passiert. Es muss ermittelt werden, ob diese Theorien auszuschließen sind. Und keine der möglichen Motivlagen darf zum „gewünschten Erfolg“ führen. Im Gegenteil.

Residenzmodell und Wechselmodell – mehr oder weniger Aufwand oder Spannungen?

  1. Dass Menschen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz heutzutage durchaus von Tag zu Tag bis zu einer Stunde und länger pro Arbeitstag pendeln, ist nicht ungewöhnlich. Darüber spricht auch kaum einer mehr. Warum ist es ein Thema – wenn man selbst vom Schulort des Kindes weiter entfernt lebt – das zu beklagen? Dem Kind sollte es nicht zugemutet werden. Der Elternperson sollte es jedoch zumutbar sein.
  2. Wenn das Kind in paritätischer Betreuung beispielsweise montags, mittwochs und freitags wechselt, bedeutet das in vier Wochen insgesamt 12 Mal tauschen.
  3. Wenn das Kind im Residenzmodell jedes zweite Wochenende und einmal wöchentlich über Nacht bei der sog. „Umgangselternperson“ ist, bedeutet das pro Monat 12 Mal tauschen. Also gleicher Aufwand wie unter Punkt 2.
  4. Wenn es nur an jedem zweiten Wochenende bei der sog. „Umgangselternperson“ ist, dann bedeutet das 4 Mal tauschen, wobei die erste Variante häufiger zu finden ist.
  5. Wenn beide Elternteile paritätisch betreuen, bedeutet das bei wöchentlichem Wechsel, beispielsweise immer Freitagsnachmittags 4 Mal tauschen. Bei einem Wechsel alle 14 Tage sogar nur 2 Mal tauschen – nämlich Monatsanfang und Monatsmitte. Also gleicher Aufwand wie unter Punkt 4. Je älter Kinder werden, desto eher kann dieser Rhythmus ein Thema werden.
  6.  Wenn es unter den Eltern Spannungen gibt, ist es aus Sicht der Kinder in allen Betreuungsmodellen ein gigantisches Problem. Was also ist bei elterlichen Spannungen der Vorteil eines Betreuungsmodells aus Sicht der Kinder? Nach Betreuungsmodell-Logik scheint es derzeit so zu sein, dass im Falle von Spannungen die „Strafe für das Kind“ ist, zwei unterschiedlich wertvolle Eltern zu haben.

Fazit:

Die Wahl der elterlichen Betreuungsanteile nach Trennung sollten immer von den „bestem objektiven Interessen“ des Kindes aus gedacht werden. Ohne Zwang. Gleichwohl vom Ausgangspunkt, dass Kinder BEIDE Eltern brauchen. Wo es Gründe gibt, die gegen eine paritätische Betreuung sprechen, sollten die Gründe identifiziert und im besten Falle beseitigt werden. Wo dieses nicht möglich ist (zu große Entfernungen, einseitige oder beidseitige Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Eltern zur Verständigung oder Erziehung, Bindungsintoleranz, fehlende elterliche Loyalität, Gewalt (körperlich, physisch, sexualisiert), Vernachlässigung, etc.), sollte nach Lösungen „im besten objektiven Interesse“ des betroffenen Kindes gesucht werden. Destruktivität schadet Kindern und darf dabei nicht erfolgreich sein.

 

Bei allen Debatten sollten wir immer „die besten objektiven Interessen“ der Kinder im Blick behalten und diese als Ausgangspunkt verstehen, wie es in der UN Kinderrechtskonvention klar formuliert ist. Es geht hier nicht um die primären Interessen von Müttern oder Vätern. Kinder sind kein Besitz, sondern Verantwortung. Unsere Aufgabe als Eltern ist es, ihnen gleichermaßen Flügel und Wurzeln zu geben. Und die Sicherheit, dass BEIDE Eltern wertvoll und wichtig sind.

 

Die Ausgangsfrage bei Trennung und dem richtigen Betreuungsschlüssel sollte also immer sein: „Gibt es einen ernsthaften Grund, der einer möglichst paritätischen Betreuung durch beide Eltern entgegensteht?“

Papa Mama Auch – Verband für Getrennterziehen

Ulf Hofes

Vorstand


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